Was für eine Woche-Man wundert sich, mit welcher Verve, mit welcher Wut und auch mit welcher erbsenzählerischen Kleinlichkeit große Teile der Weltgesellschaft auf ein junges Mädchen reagieren, welches im Grunde doch nur versucht rational zu handeln.

Das Spektrum der Medien von der konservativen WELT bis zur linken taz geriert sich derzeit als Generalstaatsanwaltschaft der bourgeoisen Kleinlichkeit, weil sie zwanghaft herauszurechnen versuchen, dass das Symbol einer Segelreise im Kern nichts weiter als ein verlogener PR Stunt sei. In den Kommentarspalten wie in den rechten Medienkanälen tobt derweil schäumend der globale Nazi-Mob. Das Brexit Urgestein Aaron Banks beispielsweise twittert „Freak yachting accidents do happen in August“. Womit er perfide wortspielerisch die Behinderung (Freak) und die Möglichkeit Thunberg könne in einem ungewöhnlichem Seeunfall (freak yachting accident) sterben, zu einem implizit der Feststellung innewohnenden bösen Reisewunsch verdichtet – die unverhohlene Drohung, die man jederzeit als das habe man so nicht gesagt zurücknehmen kann. Typisches Nazisprech eben. Während beispielsweise der UKIP Führer Neil Hamilton sich in die Massen derer einreiht, die dem zwischenzeitlich zum Breitensport gewordenen Gretabashing fröhnen. Jenen, deie meinen, dass es sei ein Zeichen von erwachsener Reife, das Bild einer Jugendlichen ungefragt zu nehmen, bösartig zu verfremden und mit Haßbotschaften aufgeladen und aufheizend wieder in den ewigen Medienmalstrom globaler Erregung einzuspielen. Oder man stempelt sie eben gleich als eine geistig Behinderte ab. Wenn sie wie etwa gerade gerne in australischen Medien als eine „schwer gestörte Person“ beschrieben wird oder wenn in einer milderen aber nicht minder abwertenden Form in deutschen Medien Empathie heuchelnd und doch nur Sensation und Framing betreibend, Therapeuten befragt werden, wie man mit Autismus auf See klar kommt. 

Aber ist es wirklich so, dass es hier nur um den eigentlich normalen Generationskampf der Retrosilberrücken vs die Kompromisslosigkeit jugendlichem Idealismusses geht? Greta Thunberg ist wahrlich nicht die erste ihrer Art. Als etwa die damals zwölfjährige Severn Suzuki 1992 ihre wirklich bemerkenswerte Rede vor der UN (unbedingt anhören! 1) zum Thema Rettung der Welt hielt titelten die Medien weltweit angerührt: „Das Mädchen, das die Welt für fünf Minuten verstummen lies“. Als letztes Jahr der niederländische Junge Boayan Slat seine kindlich-sympathische wie hoffnungslos unausgereifte Idee, wie man die Meere vom Plastik befreien könne, präsentierte, überschlugen sich die Medien in Heilspositivismen. Die selbe WELT, die gerade Greta Thunberg den Plastikanteil ihres Schlüpfers als Beweisstück 4005/b ihrer vorgeblichen CO2 Verlogenheit ins Gesicht schleudert, titelte bei Boyan Slat „Der Junge der die Meere rettet“. 

Es geht hier also um mehr als darum, dass ein Kind idealistisch und kämpferisch die Welt retten möchte. Das tun viele. Wo also liegen die Unterschiede? 

Anders zu sein, das Primat der der Jugend, ist auf seine Weise wiederum für die Gesellschaft gewohnt. Greta Thunberg ist aber auf eine für die gesellschaft ungewohnte Art anders – sie entzieht sich dem gewohnten „Anders“. Einerseits weigert sie sich, sich en passant als „Severn Suzuki Moment“ aus dem angerührten Augenwinkel der Weltgemeinschaft wischen zu lassen. Sie ist offensichtlich gekommen, wild entschlossen zu bleiben: binnen 12 Monaten ist sie zur Inkarnationsfigur einer weltumspannenden Jugendbewegung geworden. Eine Massenbewegung, die den Großen der Welt schon allein vor dem Hintergrund ihres schieren politischen Machtpotentiales Respekt- und Ehrbezeugungen abringt. 

Und sie ist ein jugendliches Mädchen, welches sich dem normalen Betrachtungsblickwinkel der Gesellschaft, dem der werdenden Frau verweigert. Sie macht nicht einfach nett knicksend einen klugen Vorschlag und lässt sich hernach artig auf den Kopf tätschelnd von vom Machtestablishment, also jenen Eliten, die Lindner wohl in Wirklichkeit meinte, als er von den Profis sprach, wegschieben. Man kann ihr den Kopf tätscheln und sie loben, und sie fragt warum man einerseits lobe, andererseits nicht handele. Man kann sie angreifen, und sie fragt, warum man wenn schon nicht auf Kind, dann doch auf die erwachsene Wissenschaft hören wolle. Kurz gesagt: sie ist penetrant und auf eine, einem das Unbequeme spiegelnde Art unangenehm. 

Bei Greta Thunberg ereignet sich möglicherweise gerade im Großen, was im kleinen passiert, wenn ein Mitglied der Gesellschaft auffällt, weil es „seinen Platz nicht kennt“. Der Grund, warum die Franzosen sich mythologisch zwar begeistert von Jean D‘Arc befreien liessen, sie aber ebenso begeistert hernach auf dem Scheiterhaufen entsorgten. Nicht ohne sie vorher zu foltern und mehrfach auf bischhöfliche Anordnung zu vergewaltigen, nur um sicher zu stellen, dass sie nicht vielleicht doch eine heilige Jungfrau sei. Mit Blick auf den Tonfall in Kolumnen, Medienartikeln und Kommentarspalten ist der Vergleich zur rituellen Schändung, also jener institutionellen Regelverletzung, die dem „jemanden seinen Platz zuweisen“ in aller Regel innewohnt, nicht wirklich abwegig. Welchen anderen Grund kann es geben, wenn Erwachsene ein junges idealistisches und gutmeinendes Mädchen als „kranke Fotze“ bezeichnen und ihr den Tod wünschen? 

Ihr weder sich selbst noch andere schonendes Ringen das richtige zu tun scheint der Welt ein Spiegel geworden zu sein, in der diese vor ihrer eigenen Fehlerhaftigkeit erschreckend nun den Spiegel zu zerschmeißen sucht. Hätte Greta Thunberg statt der Welt ihr Kinn trotzig entgegen zu recken „einfach nur“ eine wohlfeile Rede gehalten oder für eine kindlich-anrührende Schulprojektwochen-Idee Gelder gesucht, dieselben Medien hätten sie als Hoffnung gefeiert und nicht als Gefahr gebrandmarkt. Der Unterschied in Akzeptanz und Abwehr von Greta Thunberg ist offensichtlich allein, nicht den ihr von der Gesellschaft zugewiesenen Platz – den des scheu lächelnden und begierig von den Alten lernenden Mädchens – kennen zu wollen.

1) https://m.youtube.com/watch?v=6Sb6RmRMbBY