Kinder interessieren in Politik und Gesellschaft gewohnheitsmäßig eigentlich nur dann, wenn sie stören oder man sie instrumentalisieren kann. Aber plötzlich drängelt alles und jeder in die Lichtkegel der medialen Theaterspots, um zum Kindeswohl die Schulöffnungen zu fordern. Kinder würden Schaden nehmen, wenn sie nicht am Präsenzunterricht teilnehmen, dies da sie sozial verkümmern und in der Fernlehre zu viel Unterricht ausfallen würde.

Sozial verkümmern? Kinder? In welchem Jahrhundert leben diese Mahner? Ist denen schonmal aufgefallen dass Kinder schon volldigital sozialisiert waren bevor Kultusminister das Wort Fernlehre buchstabieren lernten? Kinder, ich klär mal auf: dass sind diese Wesen am anderen Ende des ewig präsenten Smartphones, selbst bei den ansonsten nicht nur medial eher ungeimpften Waldörflern. Kinder vereinsamen nicht, wenn man sie ein paar Monate aus dem Präsenzunterricht nimmt. Die vereinsamen heutzutage, wenn man ihnen die Smartphones wegnimmt, weil man sie damit effektiv von jeglicher Kommunikation innerhalb ihrer Altersgruppe abschneidet. Niemand verlangt das.

Und Stundenausfall durch Probleme bei der Fernlehre? Echt jetzt? Wo waren diese Streiter für eine bessere Schule eigentlich, als Studien ergaben, dass in Deutschland im Schnitt 10% des Unterrichts ausfallen? Ich darf mal für die Matheschwachen übersetzen: dass also bis zum Abitur von dieser Gesellschaft als ganz normal und daher weitgehend unwidersprochen akzeptiert 1,25 Schuljahre, (JAHRE !) ausfallen. Im Schnitt! Das heisst, es gibt mitunter Schulen und Schüler die deutlich mehr Ausfälle erleben. Und jetzt kommt es: die trotzdem ihr Abitur schaffen und erfolgreich ins und durch das weitere Leben gehen. Wo waren diese Menschen, als man von den mangelhaften Ausstattungen, den defekten Einrichtungen, der Sub-Bahntoiletten-Hygiene und den baulichen Mängeln auf Drittstaat-Niveau erfuhr? Wo waren die, als wir unser Vokabular um Alltagsbegriffe wie Bildungsmisere und Brennpunktschulen erweitern durften? Wo?

Wären Kinder wirklich unser Interesse, die Bildungsressorts wären Karrieresprungbretter mit denen man sich für höchste politische Ämter empfiehlt und keine politischen Abstellgleise auf denen man Hinterbänkler, die man irgendwie versorgen muss parkt, weil man annimmt dass sie dort weniger Schaden anrichten, als etwa im Wirtschaftsministerium. Und genauso verhalten sich diese KultusministerInnen denn auch mit und ohne Corona. Oder wie anders will man den föderalen Irrwitz einer bundesweit teilweise vollständig inkompatiblen Bildungslandschaft auch sonst erklären? Länderübergreifende Ausbildungsstandards, Lehr- und Lernziele, Infrastruktur, Sachmittel und Hilfen für LehrerInnen und Einrichtungen gibt es oft ebensowenig wie Seife auf den Klos, und an nicht eben wenigen Schulen, wie wir wissen phasenweise nichtmal die. Und aus der jetzt von überall tönenden, ach so großen Sorge um das Kindeswohl hat man es tatsächlich geschafft in über einem Jahr Corona gerade mal Lüftungspläne an Stelle von Filteranlagen aufzustellen. Weil letztere zu teuer wären. Zu teuer! Bildung ist uns halt so wichtig, dass sie ausser der periodischen Ankündigungen von Aktionsplänen und billiger Selbstbeweihräucherung in der Regel nichts kosten darf.

En plus warnen alle Experten bis hoch zur Weltgesundheitsorganisation dringend davor die Schulen zu öffnen. Ok, mein Fehler: zugegeben alle Experten ausser Schiffman, Streeck und Attila Hildmann. Sämtliche Studien zeigen, was eigentlich jedem halbwegs denkenden Wesen und jedem Menschen, der schon mal mit Kindern zu tun hatte ohnehin sonnenklar ist: Willst Du eine Infektion verbreiten? Dann schick sie in die Schule. Und wenn das an Verhinderungsgründen noch nicht reicht, belegen alle verfügbaren Zahlen dass wir am Anfang der dritten Welle mit einem bereits aus England erschreckend bekanntem, deutlich ansteckenderen Virus stehen.

Also wenn es einen Zeitpunkt gibt, zu dem man nach allem verfügbaren Kenntnisstand von heute eine Pandemiewelle so richtig befeuern kann, dann wäre das genau jetzt, da wir vorgeblich zum Kindeswohl die Schulen öffnen. Obwohl demnächst schon wieder Ferien sind. Timing zum Kindeswohl sieht anders aus.

Ein Zeichen von Bildung im Sinne von Klug kann es also schonmal ebensowenig sein, wie es auch nicht aus einer vielleicht nett gemeinten aber situativ etwas unreflektierten Gewohnheitssorge um das Kindeswohl entspringen kann, dass wir nun die Kinder in die Schulen schicken. Wenn aber Klugheit und Gewohnheit ausfallen bleiben nur noch unschöne Gründe. Etwa, dass die Blagen zu Hause halt so langsam nerven oder dass es die Wirtschaft stört, wenn die Kinder zu Hause die Aufmerksamkeit und Zeit der Eltern binden. Also ich will ja niemandem nichts unterstellen, aber letzteres wäre eine wirklich schlüssige Motivation Kinder unbedingt jetzt in die Schulen zu schicken und sich ansonsten weiter einen Haufen Kehricht um deren Ausstattung, Hygiene und Sicherheit zu scheren, also in etwa exakt das, was wir gerade tun. Sonst hätten wir Filteranlagen.

Und für all die Verfasser netter Wutschreiben, die ich bei dem Thema immer bekomme: ja ich habe Kinder, ja auch schulpflichtige, nein, ich bin nicht der Ansicht, dass Kinder sterben oder Schaden nehmen, wenn sie längere Zeit nicht im Präsenzunterricht sind, auch wenn ich als selber als Lehrender natürlich das persönliche Miteinander vorziehe – wenn ich die Wahl habe. Bei einem Ansteckungsrisiko von fast 100% und einer Long-Covid Chance im signifikanten Bereich bei den Kindern und dem explodierenden Fallrisiko im familiären Umfeld gibt es aber diese Wahl nunmal nicht. Lebt damit. Wenn euch die Kinder so wichtig sind, dann macht den Kultusministern die Hölle heiß, dass die endlich aus dem Quark kommen und mehr zur Sicherheit und Infrastruktur anbieten als Lüften.

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